(XXXIV.)

Die Genothzüchtigte.

[111] Wir nennen / nach gemeiner Art zu reden / die Neigung zwischen den Mannspersonē Freundschafft: zwischen Mann- und Weibspersonen aber / Liebe. Diese ist viel stärker als jene / weil sie das Freundschafft-Band zerstücket / und wie einen Faden in den Flammen verbrennet / und zernichtet.

2. So lang Straton und Antonian Knaben waren /verblieben sie in ihrer Unschuld vertraute Freunde /massen ihnen aller Eigennutz unbewust / biß die Liebe / bey reifern Jahren sie zu dem ruhigen Ehstand angetrieben.

3. Straton mehlte ihm Menodore / eine von Tugend und Verstand schöne Jungfrau / und brachte sein Wort so wol an / daß er mit ihr verehlichet worden /und beeder Glück gleichsam auf lieblichen Rosen herein getretten were / wann nicht Antonian blutritzende Dörner darunter gestreuet hette.

4. Die Freundschafft / sie sey so vertreulich sie wolle / erstrecket sie sich doch nicht biß in das Ehebett. Antonian gienge bey Straton aus und ein /[111] schertzte mit höflichen Worten mit diesen jungen Eheleuten / und sihet endlich Menedore mit Ehebrecherischen Augen an / daß unziemliche Begierden bey ihm aufsteigen / welche er zu ersättigen getrachtet.

5. Menodore / ein Ehrenweib / sahe / daß jhr Mann Antonian für seinen vertrautsten Freund hielte / und begegnet ihm mit aller verantwortlichen Höfligkeit /welche Antonian nach seinem verlangen / für eine absonderliche Begünstigung außrechnete / gestalt ein jeder leichtlich glaubet / was er wünschet und verhofft.

6. Nach vielen Lieb- und Lobsprüchen / welche hieher zu schreiben nicht nöhtig / eröffnet er dieser Frauen das Liebs-Geschwer / mit kurtzen aber spitzigen Worten. Wann Menodore eine Schlange begegnet hette / solte sie sich darob nicht so sehr entsetzet haben / sie hielte die Frage keiner Antwort würdig /und nach Antonian in seinem frevlen beginnen anhielte / sagte sie ihm solche Wort / die einem Weib / welche ihre Ehre höher achtet / als ihr Leben / wol anstehen / mit Bedrauung / daß sie solches ihrem Eh-Herrn anmelden wolte / wann er noch einst mit dergleichen Ungebühr / ihre Ohren belästigen würde.

7. Der listige Schalck bittet umb Verzeihung und sagte daß er solches aus ihres Mannes Geheiß gethan / welcher sie hierdurch auf die Prob setzen wollen. Die einfältige Frau glaubt diesem Lügner / und lässet den gefassten Haß wieder Antonian fahren / ist aber wieder jhren Mann unwillig / daß er ohne einige darzu gegebene Ursach einen Zweiffel in sie gesetzet. Doch bedencket sie / daß ihr Mann ein Mensch / der sich betrügen kan / und sie ein Weib / die er für einen schwachen Werckzeug gehalten.

8. Von der Zeit an / hielte sich Antonian bescheidner / und gabe ihr zuverstehen / daß er keine böse Gedancken in dem Sinn / und daß ihr Mann / die Sache gegen sie / ablaugnen würde / sie solte alle Mißhelligkeit zu vermeiden / lieber stillschweigen. Er aber /weil er sihet / daß mit dem Fuchsbalg nichts zu richten / trachtet nach der Löwenhaut.[112]

9. Er wuste / daß Straton / wegen seiner Rechtfertigung nach Paris verreisen musste / und vertraute diesem seinen Freund sein Hauß / welches nicht geschehen were / wann Menodore ein Wort / von dem / was vergangen / gesagt hette / und hat sie also eine seltne Weiber-Tugend in der Verschwiegenheit erwiesen /dardurch sie als ein Schaf / deß Wolffs Aufsicht befohlen worden.

10. Als er nun auf eine Zeit sich stellte / als ob er von der Jagt gekommen / und von dem Abend übereilet worden / daß er auff Menodore Schloß die Einkehr nehmen müssen / wird er mit seinen zweyen Dienern / Pferden und Hunden wol empfangen / und hat sich seine Wirtin nichts arges versehen / weil er lange Zeit kein unziemliches Wort gegen sie über die Zungen hatte springen lassen: wird deßwegen wol gehalten / und nach der Mahlzeit zu Bette gewiesen.

11. Er wuste in dem Schloß alle Gelegenheit / und als die halbe Nacht vorüber / stehet er auf / nimmet seine beede Knechte zu sich / und gehet in der Menedore Kammer / heischet erstlich mit guten Worten /was er zuvor begehrt / und als sie solches verweigert /nothzüchtiget er seines Freundes Weib / mit Hülffleistung seiner zweyen Diener.

12. Nach verübter That / eilt er mit seinem Jägerzeug aus dem Schloß / und weil er wol wuste daß er nicht ungestrafft bleiben würde / entflieht er in Niederland / alda er sich unterhalten lässet. Menodore aber schreibt so bald ihren Mann / wie sie durch seinen vertrautsten Freund wer verunehret und geschändet worden.

13. Straton wil solches nicht glauben / und muß doch aus seiner Flucht schliessen / daß ihm also. Er lässt die Sache ersitzen / und begehrt nicht einmahl deßwegen bey der Obrigkeit klagbar zu werden /damit er nicht die Schande seines Hauses aufdeckte /und sich selbsten zu Spotte machte.

14. Menedore klaget solches ihren Freunden / unter welchen Ligor zu wegen brachte / daß Antonians Güter eingezogen / und er zum Schwert[113] verurtheilt wird. Nach dem Straton wieder nach Hause kommet /hält er Menedore verächtlich / und als eine geschändte Ehebrächerin / welche ihren Willen darzu gegeben haben müsse. Dieses verdreusst das unschuldige Weib / daß sie von ihrem Mann entlaufft / und bey ihren Freunden Schutz und Auffenthalt suchte.

15. Ligor und Straton kommen hierüber zu Wort /und so bald zum Wercke / daß sie beede von Leder ziehen / und Ligor den Straton erwürget / daß er wegen solcher Mordthat entfliehen müssen: massen das rauffen durch gantz Franckreich scharff verbotten / und kommt so wol der lebendige / wann er sich betretten lässet / als der entleibte / an den Galgen.

16. Antonian wird diese Zeitung wissend / welcher so bald an Menodore schreibet / und damit er zu seinen und Stratons Gütern wieder gelangen möcht / begehret die begangene That durch den Ehestand außzusöhnen / und Menodore / welche ein Abscheu / für diesem Ehrenrauber / antwortet / daß er kommen und seine Werbung persönlich ablegen solte. Dieses geschahe ümb den Vogel in das Netz zu bringen / wie erfolget.

17. So bald Antonian wieder in dem Frantzösischen Gebiet / hat er die Schergen zu Aufwartern /welchen er unterwegs / in einem Wirtshauß / in deß Knechts Kleidern entkommet / und wiederumb in Holland entfliehet / da er in einem treffen erschossen worden. Der Menodore aber wurde zu Erstattung ihrer Ehre deß Antonians Verlassenschafft / durch Urtheil und Recht zuerkannt / die sie zu erbauung eines Spitals / und das ihrige zu Erhaltung in selben der armen und preßhafften Leute / in ihren letzten Willen gestifftet.

18. Ein Mann kan keine Weibsperson leichtlich wieder ihren Willen nothzüchtigen / und hat man kein Exempel / daß dergleichen Verbrecher nicht mit ernstlichen Straffen hetten sollen von Gott seyn heimgesuchet worden. Das alte Sprichwort sagt: Wer darff eine Jungfrau schwechen / darff auch in[114] die Kirchen brechen: dann wie Gott heilig gehalten haben wil / daß man zu seinem Dienst gewidmet hat: also will er auch der Menschen Hertzen und ihren freyen Willen / welche Gefässe sind der Gerechtigkeit / ihm nicht rauben oder entheiligen lassen.


19. Gieb jederman das sein /

Und schad dem Nechsten nicht:

Leb erbar / halt dich rein /

Fürcht Gottes Angesicht /

Er sihet / hört und weiß

Die Wercke / Wort und Sinne /

Ein jeder tracht mit fleiß /

Daß er der Straff entrinne.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 111-115.
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